Das Projekt ComplexEthics stellte ein Konsortium aus vier Partnern zusammen – der Ludwig-Maximilians-Universität München (Anthropologie), der Evangelischen Hochschule Nürnberg (Ethik), der Universität Potsdam (Informatik) und dem Karlsruher Institut für Technologie/Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (Soziologie) – um ein ethisches Orientierungsinstrument für digital vernetzte Umgebungen zu schaffen. Das Projekt wurde von der Evangelischen Hochschule Nürnberg koordiniert und lief von Anfang 2019 bis Ende 2020. Im Jahr 2020 beschloss das Ministerium, die Arbeit im Rahmen einer „Integrierten Forschung“ fortzusetzen.
In wissenschaftlicher Hinsicht konzentrierte sich das Projekt darauf, die Komplexität soziotechnischer Arrangements abzubilden und dieses Wissen in ein brauchbares Beratungsinstrument zu übersetzen. Im Teilprojekt Informatik entwickelten Forscher der Universität Potsdam einen mehrdimensionalen Rahmen, um komplexitätserzeugende Merkmale digitaler Systeme zu identifizieren, zu kategorisieren und zu quantifizieren. Sie erstellten eine Taxonomie der Komplexitätsdimensionen – wie z.B. Vielfalt, Diversität und Dynamik – und leiteten Metriken ab, die sowohl objektive technische Parameter (Größe des Quellcodes, architektonische Entscheidungen, Technologie-Stack) als auch die subjektive Wahrnehmung der Komplexität durch die Benutzer erfassen. Parallel zum soziologischen Teilprojekt wurden empirische Studien durchgeführt, bei denen sowohl Designer als auch Benutzer komplexer digitaler Systeme befragt wurden, um zu ermitteln, wie die wahrgenommene Komplexität mit der Art der Interaktion variiert. Die daraus resultierenden Daten wurden in ein einheitliches Modell integriert, das die Grundlage für das Orientierungsinstrument bildet.
Das Teilprojekt Ethik hat das MEESTAR-Modell, das ursprünglich für die ethische Reflexion in digitalen Kontexten konzipiert wurde, zu einem praktischen Handbuch erweitert. In einer Reihe von vier Expertenworkshops (in Potsdam, EVHN und virtuell im Oktober 2020) überprüften Wissenschaftler aus den Bereichen Informatik, Soziologie und Philosophie – darunter Prof. Dr. Ingo Scholtes, Prof. Dr. Theresa Wobbe, Prof. Dr. Klaus Mainzer und Prof. Dr. Werner Stegmaier – die entstehenden Heuristiken und Interaktionsszenarien. In diesen Workshops wurden die konzeptionellen Grundlagen des Instruments validiert, Lücken identifiziert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Ein wichtiges Ergebnis war die Anpassung der Fragen zur ethischen Orientierung des Instruments an das empirisch abgeleitete Komplexitätsmodell, um sicherzustellen, dass die Beratung kontextabhängig ist.
Parallel dazu hat das didaktische Teilprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrike Lucke und Mitarbeitern der TU Dresden und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen die Forschungsergebnisse in einen pädagogischen Rahmen umgesetzt. So entstand ein Handbuch, das die MEESTAR-basierte Orientierungshilfe mit didaktischen Strategien für den Ethikunterricht in Informatik und Ingenieurwissenschaften kombiniert. Eine mediendidaktische Studie untersuchte, wie ethisches Wissen innerhalb dieser Disziplinen erworben und vermittelt wird, und organisierte „Denkräume“, in denen disziplinäre Erkenntnisse explizit verglichen und integriert wurden.
Das Projekt untersuchte auch Synergien mit dem 4D-Modell der Mensch-Technik-Interaktion von Dr. Leon Hempel. Während sich das 4D-Modell auf die soziologische Darstellung von Interaktionsmöglichkeiten konzentriert, legt das Orientierungsinstrument den Schwerpunkt auf explizite ethische Entscheidungspunkte. Die Workshops zeigten komplementäre Stärken auf und identifizierten potenzielle Wege der Zusammenarbeit, obwohl die Instrumente in ihrem Umfang unterschiedlich bleiben.
Während des gesamten Projekts hat das Konsortium einen modularen Arbeitsablauf beibehalten: anfängliche theoretische Klärung (Arbeitspaket 1), empirische Datenerhebung (Arbeitspakete 2 und 3), Modellintegration und iterative Validierung durch Expertenworkshops. Es wurden keine quantitativen Leistungskennzahlen wie Genauigkeit oder Benutzerfreundlichkeit angegeben. Stattdessen wird der Erfolg des Instruments an seiner konzeptionellen Kohärenz, seiner interdisziplinären Akzeptanz und seiner Bereitschaft zur Bereitstellung auf einer speziellen Website gemessen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ComplexEthics ein theoretisch fundiertes, empirisch validiertes Instrument zur ethischen Orientierung hervorgebracht hat, das Komplexitätswissenschaft, Anthropologie und Ethik miteinander verbindet. Durch die Zusammenarbeit von vier Universitäten und mehreren Disziplinen wurde sichergestellt, dass das Instrument sowohl wissenschaftlich fundiert als auch pädagogisch umsetzbar ist und im Rahmen der Integrated Research Initiative weiterentwickelt werden kann.

