In einer Landschaft voller klarer blauer Seen und tiefgrüner Wälder sind es die alten roten Backsteingebäude, die die Geschichte des industriellen Erbes von Tampere erzählen. Ehemalige Fabriken, in denen einst Maschinen und Wäsche hergestellt wurden, prägen noch immer die Architektur dieser finnischen Region.
Obwohl das Dröhnen der Industriemaschinen längst verstummt ist, ist der „Geist von Tampere“, wie die Einheimischen ihn nennen, noch immer tief in der Gegend verwurzelt.
„Tampere hat den Ruf, innovativ zu sein“, sagt Tanja Tyvimaa, leitende Fachkraft bei der Stadt Tampere, der größten Stadt der Region. „Wenn es einen guten Grund gibt, ein Pilotprojekt zu starten und einen neuen Ansatz auszuprobieren, dann tun wir das einfach.
Kreisförmige Region
Es überrascht daher nicht, dass die Region Tampere eine der 12 Pilotregionen ist, die im Rahmen der EU-Initiative für kreislauforientierte Städte und Regionen (Circular Cities and Regions Initiative, CCRI) maßgeschneiderte Unterstützung von Experten der Kreislaufwirtschaft erhalten.
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Wir können die Welt nicht alleine verändern, aber wir können ihr die richtige Richtung weisen.
Die im Oktober 2021 ins Leben gerufene CCRI ist Teil der umfassenderen Bemühungen der EU, den Städten zu helfen, Ressourcen effizienter zu nutzen und Abfall zu reduzieren. Sie bringt mehr als 140 Städte, Gemeinden und Regionen in ganz Europa zusammen, um den Wandel hin zu einer kreislauforientierten und nachhaltigen Lebensweise anzuführen.
Diese Initiative ist auch ein wichtiger Teil des Europäischen Green Deals – des übergreifenden Plans der EU, die Wirtschaft zu fördern und gleichzeitig die Umwelt zu schützen. Da die meisten Ressourcen Europas von lokalen Gemeinschaften verwaltet werden, spielen die Städte und Regionen eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung dieser grünen Vision.
„Wir müssen dieses Problem auf städtischer und regionaler Ebene angehen“, sagte Tyvimaa, ein Spezialist für nachhaltiges Wohnen und Bauen.
„Wenn wir private Unternehmen auffordern, sich auf Kreislaufwirtschaft zu konzentrieren, muss der öffentliche Sektor mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können die Welt nicht allein verändern, aber wir können sie in die richtige Richtung lenken.“
Abfallfreies Bauen
Die wichtigsten Säulen einer Kreislaufwirtschaft könnten als Wiederverwendung, Reparatur, Aufarbeitung und Recycling beschrieben werden. Anstatt ständig neue Güter zu produzieren, wie es in der derzeitigen linearen Wirtschaft der Fall ist, zielt das System darauf ab, Abfall zu reduzieren und den Lebenszyklus bestehender Produkte zu verlängern.
Die Region Tampere mit ihren 23 Gemeinden, einschließlich der Stadt Tampere selbst, hat bereits große Fortschritte auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft gemacht. Ein wichtiger Schwerpunkt dieser Bemühungen ist einer der größten Industriezweige der Region: das Baugewerbe.
Der Bausektor trägt erheblich zu den weltweiten Kohlenstoffemissionen bei. In der EU sind Gebäude für fast die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs verantwortlich und erzeugen mehr als ein Drittel des gesamten Abfalls in der EU.
Die Situation ist in Finnland nicht anders, wo die Bauindustrie allein für 30 % aller CO₂-Emissionen verantwortlich ist, so Karoliina Tuukkanen von Circular Pirkanmaa, einem öffentlich finanzierten Entwicklungszentrum für die Kreislaufwirtschaft in der Region Tampere.
In enger Zusammenarbeit mit dem Rat der Region Tampere konzentriert sich Circular Pirkanmaa auf die Verbesserung von Kreislaufwirtschaftspraktiken im Bausektor. Dazu gehören der Wohnungsbau, die Entwicklung der Infrastruktur und industrielle Materialflüsse.
„Wir haben uns sehr hohe Ziele gesetzt“, sagte Tuukkanen. „Unser Ziel ist es, einen systemischen Wandel herbeizuführen. Wir müssen schnell große Veränderungen herbeiführen, um unsere starke Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen zu verringern.“
Wie Tuukkanen sagte, sucht Circular Pirkanmaa nach Möglichkeiten, die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in die Pläne und Geschäftsstrategien der Gemeinden einzubinden.
Eine wichtige Errungenschaft ist die Entwicklung neuer Kriterien für den Bau von Infrastrukturen, die sicherstellen, dass die Kreislaufwirtschaft nun eine zentrale Anforderung bei öffentlichen Ausschreibungen in Tampere ist.
„Das ist eine große Veränderung“, sagte Tuukkanen. „Bei der öffentlichen Auftragsvergabe geht es um erhebliche Ausgaben und Einfluss. Wenn wir die Regeln ändern, können wir wirklich etwas bewirken.“
Von alt zu neu
Die Region Tampere fördert auch aktiv die Wiederverwendung von Materialien aus abgerissenen Gebäuden, einschließlich Ziegeln und Beton. So haben die Städte Nokia und Orivesi jeweils 42 000 Ziegelsteine zurückgewonnen und planen, diese in lokalen Bauprojekten wiederzuverwenden.
Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel ist das von der EU finanzierte Projekt ReCreate, das sich auf die Wiederverwendung von Betonfertigteilen für die Kreislaufbauweise konzentriert. Das Projektteam, an dem Partner aus Tampere und anderen Regionen in Finnland, den Niederlanden, Deutschland, Schweden und Kroatien beteiligt sind, hat sich zum Ziel gesetzt, Betonelemente aus ausgedienten Gebäuden zu dekonstruieren und wiederzuverwenden.
„Diese Betonelemente waren ursprünglich nicht für die Demontage konzipiert, aber wir waren bisher recht erfolgreich“, sagt Satu Huuhka, Professorin für nachhaltige Renovierung an der Universität Tampere.
Das Ersetzen neu hergestellter Materialien durch wiederverwendete bietet erhebliche Vorteile für die Umwelt. „Der Kohlenstoff-Fußabdruck von wiederverwendeten Elementen beträgt nur 5 % des Kohlenstoff-Fußabdrucks von neu hergestellten Elementen“, sagt Huuhka, der die ReCreate-Initiative koordiniert.
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Unser Ziel ist es, einen systemischen Wandel herbeizuführen.
Als Teil ihrer Arbeit haben die ReCreate-Partner Pilotprojekte zum Rückbau und zur Wiederverwendung durchgeführt. Dabei werden Strukturelemente von ausrangierten Gebäuden geborgen und in neue Konstruktionen eingebaut, darunter ein Wohnblock und ein Ausstellungspavillon.
Laut Huuhka hat sich das Verfahren als technisch machbar und sicher erwiesen.
„Diese Gebäude wurden nicht aufgrund von strukturellen Mängeln stillgelegt, sondern aufgrund sich verändernder städtischer und gesellschaftlicher Bedürfnisse, was es uns ermöglicht, die Qualität der wiederverwendeten Materialien zu gewährleisten“, sagte sie.
Das ReCreate-Team war angenehm überrascht, wie einfach sich der Dekonstruktionsprozess gestaltete, fügte Huuhka hinzu. „Tatsächlich haben einige unserer Industriepartner bereits damit begonnen, unsere Methoden auf kommerzielle Projekte anzuwenden.“
Wissen teilen
Die nächste Herausforderung besteht darin, zu lernen, wie man Gebäude aus wiederverwendeten Produkten entwirft.
„Design und Architektur werden sich anpassen müssen, weil wir mit bestehenden Elementen arbeiten, die vordefinierte Abmessungen, Eigenschaften und Tragfähigkeiten haben“, sagt Huuhka.
Um diesen Wandel zu unterstützen, entwickelt die Stadt Tampere Richtlinien für Architekten und bettet die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in ihren neuen klimaneutralen Fahrplan ein.
„Wir hoffen, dass in fünf Jahren die Praktiken der Kreislaufwirtschaft nicht mehr als etwas Außergewöhnliches angesehen werden – sie werden einfach ein Standardteil des Bauprozesses sein“, sagte Tyvimaa.
Die Schaffung von Wissen und dessen breiter Zugang ist ein entscheidender Schritt für den grünen Wandel, fügte sie hinzu. „Die größte Herausforderung bei der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft ist der Mangel an praktischer Erfahrung und Know-how.“
Hier können Initiativen wie die CCRI einen echten Unterschied machen und Europa helfen, kreislauffähiger zu werden.
„Das CCRI ist entscheidend für den Wissensaustausch und das Setzen von Maßstäben“, sagte Tuukkanen. „Viele der hier in Finnland entwickelten Praktiken lassen sich leicht auf andere Länder übertragen – und umgekehrt. Es ist wichtig, dass wir uns vernetzen und voneinander lernen.“
Die Forschung in diesem Artikel wurde durch das Horizon-Programm der EU finanziert. Die Ansichten der Interviewpartner spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, teilen Sie ihn bitte in den sozialen Medien.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.
